Robustes Wachstum und steigende Märkte verbergen zugrunde liegende strukturelle Spannungen – die Risiken eines Fehltritts nehmen zu. Wir bewerten das Gleichgewicht für Anleger.
Mit Blick auf das Jahr 2026 bewegt sich die Weltwirtschaft auf einem zunehmend schmalen Grat. Das Wachstum hat sich überraschend robust gezeigt, die Inflation hat sich (wenn auch uneinheitlich) abgeschwächt, und die Märkte sind weiter gestiegen. Aber unter der Oberfläche bauen sich Ungleichgewichte auf. Wir glauben, dass das kommende Jahr davon geprägt sein wird, wie erfolgreich die politischen Entscheidungsträger und Anleger den immer enger werdenden Weg meistern können.
Robuster Fortschritt, unerwartete Richtung
2025 lieferte im Großen und Ganzen das, was viele erwartet hatten: höhere Aktienkurse, allmähliche Zinssenkungen und eine eingedämmte Inflation. Doch wurde dies nicht unbedingt auf die Art und Weise erreicht, wie es die Prognostiker sich vorgestellt hatten. Das Wachstum der Unternehmensgewinne in den USA fiel geringer aus als erwartet, war aber dennoch robust und insbesondere im Technologiesektor besonders stark. Zudem trug die anhaltend hohe Verbrauchernachfrage zum Wachstum bei – selbst wenn der Inflationsdruck bestehen blieb.
Die Divergenz zwischen den Regionen hat sich jedoch vergrößert. Die Inflation liegt in der Nähe von 2 % in der Eurozone, näher bei 3 % in den USA und fast bei 4 % im Vereinigten Königreich. Diese Unterschiede spiegeln nicht nur innenpolitische Ansätze wider, sondern auch sich verändernde globale Dynamiken – insbesondere die zentrale Geschichte des Jahres 2025: das Aufkommen von Zöllen. Infolgedessen sind die politischen Risiken, denen die Zentralbanken gegenüberstehen, komplexer und der Fehlerspielraum kleiner geworden.
Zölle und Inflation: eine neue Art von Angebotsschock
Wir betrachten das heutige inflationsgetriebene Umfeld als grundsätzlich anders als den Anstieg nach der Covid-Pandemie. Nach der Pandemie wurde sie durch Übernachfrage und Angebotsengpässe beim Wiederhochfahren der Wirtschaft getrieben; heute wird sie hingegen von Angebotsbeschränkungen geprägt, die mit Handelspolitik und geopolitischer Unsicherheit zusammenhängen.
Während einige Ökonomen argumentieren, dass es sich bei Zöllen um eine einmalige Preisanpassung handelt, ist es möglich, dass sie mit höherer Wahrscheinlichkeit im Jahr 2026 zu einem anhaltenden Inflationsdruck führen werden. Höhere Importkosten führen tendenziell zu höheren Lohnforderungen und größerer Preissetzungsmacht entlang der Lieferkette.. Zölle haben nicht nur die Kosten direkt erhöht, sondern wirken sich auch breiter aus, indem sie Lieferketten stören und unternehmerische Entscheidungen verzögern. Unternehmen haben einen Teil dieser Kosten zunächst selbst getragen; wir gehen jedoch davon aus, dass künftig mehr weitergegeben wird – allerdings nicht eins zu eins. In den USA, wo die Zölle am stärksten ausgeprägt sind, erweist sich die Inflation mit rund 3 % als hartnäckig. Umgekehrt erlebt Europa einen disinflationären Impuls, da chinesische Exporte, die von den USA weggeleitet werden, günstigere Waren nach Europa bringen.
Für Anleger bedeutet dies ein zunehmend fragmentiertes globales Inflationsbild – und folglich größere Unterschiede in der Geldpolitik und bei Währungsbewegungen.
Zentralbanken unter Druck
Wichtig ist, dass die Zentralbanken weiterhin unabhängig arbeiten. Dieser Status wird jedoch auf die Probe gestellt. Da Präsident Trump signalisiert, dass er Zinssätze näher bei 1 % als bei 4 % bevorzugen würde, und die Amtszeit des Vorsitzenden der Federal Reserve im Mai 2026 endet, sieht sich die Fed erneut politischer Aufmerksamkeit ausgesetzt. Eine Verlagerung hin zu politisch ausgerichteten Ernennungen könnte den langfristigen Fokus auf Preisstabilität gefährden. Anleger sollten wachsam bleiben und die Auswirkungen auf Inflationserwartungen und die Bewertung von Vermögenswerten berücksichtigen.
Zudem rückt die Entwicklung der Staatsverschuldung zunehmend in den Fokus als mögliche Einschränkung für die Märkte (Abbildung 1) Die USA werden voraussichtlich bis zum Ende des Jahrzehnts eine Schuldenquote von über 130 % des BIP erreichen, während das französische Defizit – prognostiziert auf 118 % des BIP bis 2026 – hartnäckig über 5 % des BIP liegt. Wenn das Vertrauen erodiert, kann eine Preisanpassung schnell erfolgen. Die Tatsache, dass die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen in Frankreich die von Italien und Spanien übersteigen – einst im Jahr 2009 während der Eurokrise im Fokus der Sorgen – verdeutlicht, wie schnell Anleger finanzielle Risiken selbst in entwickelten Märkten neu bewerten können. Tatsächlich ist der geplante Pfad Großbritanniens zur Defizitreduzierung, obwohl er letztlich stabilisierend wirkt, schmerzhaft und problematisch und verdeutlicht die Schwierigkeiten bei dem Versuch, dieses Problem zu lösen. Angesichts steigender Staatsverschuldung ist es möglich, dass eine Finanzierungskrise in einer großen Volkswirtschaft die Kreditkosten auch in anderen Ländern erhöhen könnte.
Abbildung 1: Auf, auf und davon
Staatsschulden als Prozentsatz des BIP
Quelle: Bloomberg vom 24. Oktober 2025.
Daher sind wir der Ansicht, dass das Risiko politischer Fehler – insbesondere einer zu schnellen und zu starken Senkung der Zinsen – steigt. Die Senkung kurzfristiger Zinsen zum Abbau finanzieller Spannungen könnte die Zinskurven stark ansteigen lassen, wenn Anleiheinvestoren das Vertrauen in die Inflationskontrolle verlieren, wodurch die Finanzierungskosten für fünf- bis zehnjährige Laufzeiten steigen und eine Entlastung durch niedrige Kurzfristzinsen abgeschwächt würde. Die Erfahrung Anfang 2025, als wechselseitige Zölle die US-Anleihemärkte kurzzeitig destabilisierten, verdeutlicht dieses Risiko. In einem solchen Umfeld, in dem die Defizite hoch sind und der Druck von allen Seiten wächst, wirken die Anleihemärkte weiterhin als disziplinierende Kraft – sowohl auf Regierungen als auch auf Zentralbanken.
Angesichts der erwarteten stärkeren Streuung bei Wachstum, Beschäftigung, Inflation und Haushaltsdefiziten in den großen Volkswirtschaften im Jahr 2026 ergeben sich Chancen, die Zinsrisiken breiter zu streuen und Portfolios gegen Aktienrückgänge oder eine starke Verschlechterung der Beschäftigungslage abzusichern.
Globaler Handel im Übergang
Zölle und politische Unsicherheit haben die Logik der Globalisierung verändert. Unternehmen, die früher uneingeschränkt geografisch expandierten, sehen sich nun Anreizen gegenüber, die Produktion zu ‚freundlichen‘ Standorten zu verlagern oder inländisch zu investieren. Das Fehlen von Stabilität bei Handelsregeln hat viele CEOs dazu veranlasst, Anlageentscheidungen einfach zu verzögern. Wir erwarten, dass diese Unsicherheit bestehen bleibt, und wir vermuten, dass jetzt Zölle eingeführt wurden, deren Aufhebung schwierig sein wird.
Infolgedessen spüren die Schwellenländer sowohl Gegenwind als auch Chancen. Ein schwächerer US-Dollar hat den Druck auf die externe Verschuldung gemindert, aber die größten Schwellenländer – China und Indien – sind mit 47 % bzw. 50 % einigen der größten Zollbeschränkungen ausgesetzt. Beide profitieren jedoch von einem niedrigeren Pro-Kopf-BIP, was ausreichend Spielraum für inländisches Wachstum lässt. Wir sind der Ansicht, dass ein selektives Engagement innerhalb von Schwellenländern gerechtfertigt ist, mit einem Fokus auf diejenigen, die von neuen Lieferkettenanpassungen und wettbewerbsfähigen Währungen profitieren.
KI und Energie: Themen im Wandel
Der schnelle Fortschritt der künstlichen Intelligenz (KI) ist ein weiteres Thema, das den Diskurs, die Unternehmensstrategie und die Marktstimmung dominiert. Wir sind der Ansicht, dass sich KI-Investitionen weiterhin in der frühen Einführungsphase befinden – gekennzeichnet durch außergewöhnliches Potenzial und klare Anzeichen finanzieller Übertreibungen. Kreislauffähigkeit ist ein Thema bei Unternehmen, die in ihre eigenen Zulieferer und Partner investieren, da dies finanzielle Verflechtungen verwischt und Abhängigkeiten schafft. Dies ist praktikabel, wenn es eine Dynamik gibt, und fragil, wenn es keine gibt. Unsere Kreditanalysten untersuchen solche Strukturen genau. Es gibt Anklänge an den Dotcom-Boom der frühen 2000er Jahre: Einige Unternehmen erzielen enorme Cashflows durch den Verkauf der ‚Werkzeuge und Ausrüstung‘ für KI, während andere stark investieren in der Hoffnung auf zukünftige Erträge. Gut kapitalisierte Unternehmen sind besser positioniert, um diese lange Entwicklungsphase zu finanzieren.
Die Energiewende ist ein weiteres anhaltendes Thema. Obwohl wir anerkennen, dass die Rücknahme des US-Inflation-Reduction-Act die Dynamik in den USA verlangsamt hat, wird die weltweite Investition in erneuerbare Energien, Elektrifizierung und Netz-Infrastruktur voraussichtlich fortgesetzt. Bisher wurden 2,2 Billionen US-Dollar an Kapital in erneuerbare Energien, Kernenergie, Netze, Speicher, emissionsarme Brennstoffe, Effizienz und Elektrifizierung investiert – doppelt so viel wie die 1,1 Billionen US-Dollar, die in Öl, Erdgas und Kohle fließen.1 In Europa und Teilen Asiens bleiben die politische Unterstützung und das Engagement der Unternehmen stark (Abbildung 2). Daher erwarten wir weiterhin, dass die Energiewende eine beständige Quelle für Chancen auf den Kapitalmärkten darstellt, auch wenn der Fortschritt wahrscheinlich ungleichmäßiger ausfallen wird.
Abbildung 2: Energie – sich verändernde regionale Unterschiede
Globale Investitionen in die Energiewende, 2004-2024
Quelle: IEA/BloombergNEF Energy Transition Trends, 2025. EMEA = Europa, der Nahe Osten und Afrika; APAC = Asien-Pazifik.
Dreidimensionales Anlagedenken
Nach einem weiteren starken Jahr für Aktien lassen die Bewertungen – insbesondere in den USA – weniger Spielraum für Fehler. Die Marktreaktionen auf geopolitische Schocks und Zollankündigungen haben gezeigt, wie schnell Korrekturen auftreten und sich wieder umkehren können. Aber sollte es zu einem Abschwung bei gleichzeitig schwächerem Wachstum oder steigender Arbeitslosigkeit kommen, könnte die Erholung weniger schnell oder weniger stark ausfallen.
Diversifikation ist daher nicht verhandelbar. Anleger sollten in drei Dimensionen denken: über Anlageklassen hinweg (Aktien, Kredite und alternative Anlagen); über Regionen hinweg (die USA, Europa und Schwellenländer); und über Themen hinweg (künstliche Intelligenz, fiskalische Widerstandsfähigkeit, Energiewende usw.). Die Kreditmärkte könnten frühe Anzeichen für eine sich verändernde Dynamik liefern und eine verstärkte Unterscheidung zwischen Kreditnehmern höherer und niedrigerer Qualität hervorheben. Private Equity hingegen könnte Gegenwind durch höhere Finanzierungskosten und eine angespanntere Liquidität erfahren.
Fazit
Die Weltwirtschaft geht in einem insgesamt soliden Zustand in das Jahr 2026, doch die Risiken eines Fehltritts nehmen zu. Die Inflation bleibt hartnäckig und uneinheitlich, die Haushaltsdefizite sind besorgniserregend hoch und scheinbar unlösbar, und das geopolitische Gefüge knirscht weiterhin. Für politische Entscheidungsträger und Anleger war die Balance zwischen Vorsicht und Optimismus selten so heikel.
Wir sind der Ansicht, dass das Wachstum eines Portfolios in diesem Umfeld durch Geduld, Disziplin, Diversifikation und Selektivität erreicht wird – wobei ein aktiver Ansatz am besten geeignet ist, Chancen zu erkennen, die sich aus Veränderungen ergeben, und Fragilität hinter überschwänglichem Verhalten zu entlarven. Der Weg ist zwar schmal, doch er eröffnet weiterhin Chancen für positive Ergebnisse.
Alle Daten stammen von Bloomberg, Stand Oktober 2025, sofern nicht anders angegeben.