

Die Weltwirtschaft befindet sich im Umbruch. In dieser Situation sind die Argumente für eine Anlage in europäische Aktien so überzeugend wie seit Jahren nicht mehr. Wir sehen uns diese Gelegenheit genauer an und erläutern, warum die Aktienauswahl der Schlüssel zum Erfolg ist und Qualität sich durchsetzen wird.
Europäische Aktien haben die letzten zehn Jahren im Schatten der US-Aktien verbracht, weil Anleger die Dynamik der amerikanischen Technologiewerte bevorzugten. Derzeit werden seit Langem geltende Annahmen jedoch regelmäßig infrage gestellt, und wir gehen davon aus, dass sich ein Wandel vollzieht. Europa wird als Anlagemöglichkeit zunehmend attraktiv – und zwar aufgrund seiner eigenen Vorzüge und nicht nur in Reaktion auf die Schwierigkeiten an den US-Märkten. Unsere Überzeugung in Bezug auf Europa steht vor dem Hintergrund der drohenden US-Zölle, die nur in die USA exportierende Unternehmen direkt betreffen und deren Hauptziel China ist.
Europa: die Gelegenheit der Stunde
Europäische Aktien sind unbeliebt, werden zu wenig gehandelt und sind unterbewertet; im Vergleich zu ihren US-Pendants haben sie sich unterdurchschnittlich entwickelt. Dennoch werden sie kontinuierlich gekauft, insbesondere von den inländischen europäischen Anlegern. Die Herausforderungen in den USA – Zölle, politische Instabilität und überzogene Bewertungen – wären bereits Grund genug für eine verstärkte Diversifizierung. Doch es gibt in Europa eine Reihe zusätzlicher Katalysatoren, die zu einer anhaltenden Aktienrally beitragen könnten.
Die Entscheidung Deutschlands, die Schuldenbremse zu lockern, stellt einen bedeutenden Wendepunkt dar. Die Schuldenbremse ist eine im Grundgesetz verankerte Fiskalregel, die die staatliche Kreditaufnahme bisher auf 0,35% des BIP begrenzte, was natürlich zu einer Einschränkung der Investitionsausgaben geführt hat. Infolge dieser Regel liegt der Schuldenstand Deutschlands weit unter dem anderer europäischer Volkswirtschaften (etwa 62% des BIP gegenüber z. B. 111% in Frankreich, 97% im Vereinigten Königreich und 135% in Italien1). Der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler Friedrich Mertz hat zwei Ausnahmen von der Bremse durchgesetzt: einen Sonderfonds für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro und Verteidigungsausgaben von mehr als 1% des BIP.
Dabei handelt es sich nicht um eine geringfügige Anpassung, sondern um eine tiefgreifende strukturelle Veränderung in einem Land, das sich einst durch die konservativste Haushaltspolitik innerhalb Europas auszeichnete. Ein beträchtlicher Teil der Investitionsausgaben wird in die europäische Wirtschaft fließen. Dies könnte den Weg für ähnliche Maßnahmen auf dem gesamten Kontinent ebnen und so ein günstigeres Anlageumfeld für die kommenden Jahre schaffen.
Entscheidend ist dabei, dass die vorgesehenen Ausgaben auf Sektoren abzielen, die von der sich entwickelnden wirtschaftlichen Landschaft in Europa profitieren werden. Titel aus den Bereichen Verteidigung, Infrastruktur und Industrie, die an deutschen Projekten beteiligt sind, dürften deutlich zulegen, während sich die Stimmung am Markt derzeit insgesamt bereits erholt.
Gegenwärtig sind Zölle ein weltweit beherrschendes Thema, und auch Europa ist davon nicht ausgenommen. Es gibt jedoch zwei Faktoren, die den Schaden für Europa begrenzen könnten. Ein Faktor besteht in der Tatsache, dass die Zölle ein Land nur dann treffen, wenn es ein Produkt herstellt und in die USA exportiert. Während Autos, Spirituosen und einige Bereiche des Luxussektors betroffen sein werden, gibt es in Europa viele Unternehmen, die im Dienstleistungs- oder Technologiesektor tätig sind und keine Produkte herstellen. Diese Dienstleistungssegmente werden nicht von Zöllen betroffen sein.
Ein zweiter wichtiger Faktor ist, dass die Zölle den amerikanischen Unternehmen in vielerlei Hinsicht mehr schaden als den europäischen. Mit seiner Agenda will US-Präsident Trump nicht nur Europa (und andere Regionen) aus dem US-Markt ausschließen, sondern auch die US-Unternehmen dazu zwingen, ihr geschäftliches Handeln zu überdenken. Das Ziel besteht darin, das Offshoring zu beenden und Industrie und Produktion von billigeren Standorten wie Mexiko, Vietnam und Afrika zurück in die USA zu holen. Es geht somit um etwas ganz anderes als eine pauschale Abneigung gegen Europa – die vorgeschlagenen Strafzölle fallen hier außerdem deutlich bescheidener aus als für andere Länder.
In Europa gibt es mehrere Branchen, die strukturell vorteilhaft positioniert sind. So ist etwa im Luxusgütersektor die Preisgestaltungsmacht weiterhin stark ausgeprägt. Auch bei Berücksichtigung der Zölle bleiben bestimmte europäische Spitzenmarken unersetzlich. Wenn eine Verbraucherin zum Beispiel starkes Interesse an einer hochwertigen Lederhandtasche hat, stehen ihr nur wenige in den USA hergestellte Produkte zur Auswahl. Zugleich profitieren europäische Industrie-, Software- und andere Technologieunternehmen von einem langfristigen Wachstum, das durch Automatisierung, künstliche Intelligenz und die Digitalisierung der Industrie entsteht.
Die Aktienauswahl ist entscheidend
Europa erscheint insgesamt attraktiv, doch ein breit angelegtes Engagement ist in diesem Markt nicht die beste Strategie. Bestimmte Sektoren werden noch jahrelang mit Herausforderungen zu kämpfen haben. Die europäischen Automobilhersteller waren schon vor der Einführung der Zölle mit Problemen in den Lieferketten und Störungen ihres Geschäftsmodells durch die Umstellung auf Elektrofahrzeuge konfrontiert. Im Bereich Elektrofahrzeuge bietet China billigere und bessere Technologien. Durch den einfachen Kauf eines europäischen Aktien-ETF wären die Anleger stark in diesen angeschlagenen Branchen engagiert.
Aus diesem Grund ist eine aktive Aktienauswahl entscheidend. Der Schlüssel liegt darin, die „Rohdiamanten“ zu identifizieren – Unternehmen, die von den makroökonomischen Risiken (Zölle) abgeschirmt und so positioniert sind, dass sie von dem Aufschwung in Europa (Lockerung der Schuldenbremse) profitieren können.
Auch im Bankensektor ist die Aktienauswahl entscheidend. Die europäischen Banken, insbesondere die in Südeuropa, haben sich in den letzten zehn Jahren stark erholt, was auf eine Verbesserung der Bilanzen und eine größere Kapitaldisziplin zurückzuführen ist. Die besten Anlagemöglichkeiten bieten jedoch gut kapitalisierte Banken mit soliden Geschäftsmodellen – und nicht solche, die lediglich von steigenden Zinsen profitiert haben. Anleger müssen selektiv vorgehen, um leistungsschwache Institute zu meiden und gleichzeitig das Potenzial gut positionierter Finanzunternehmen zu nutzen.
Qualität ist zentral
Letztlich investieren wir nicht direkt in Volkswirtschaften, sondern in Unternehmen. Die stärksten Determinanten für den Erfolg eines Unternehmens sind sein Geschäftsmodell, seine Fähigkeit, makroökonomische Trends zu nutzen, und seine Widerstandsfähigkeit. Deshalb ist Qualität ein so zentraler Faktor bei Anlagen in Europa.
Qualitativ hochwertige Unternehmen verfügen über eine erhebliche Preisgestaltungsmacht, dauerhafte Wettbewerbsvorteile und die Fähigkeit, nachhaltige Cashflows zu generieren. In Europa findet man diese Eigenschaften häufig im Luxussektor, bei spezialisierten Industrieunternehmen und bei ausgewählten Technologiefirmen vor. Solche Unternehmen sind nicht nur gut aufgestellt, um von den makroökonomischen Veränderungen in Europa zu profitieren, sondern können auch im globalen Wettbewerb bestehen.
Qualität steht im engen Zusammenhang mit Widerstandsfähigkeit. Konjunkturzyklen verstärken die kurzfristige Volatilität, aber Unternehmen mit einer starken Positionierung, einem guten Managementteam und einer disziplinierten Kapitalzuteilung werden sich unserer Meinung nach langfristig überdurchschnittlich entwickeln. Die jüngste Entwicklung europäischer Aktien, bei der sich die Kursgewinne auf eine kleinere Anzahl von Titeln konzentrierten, unterstreicht die Bedeutung eines selektiven Vorgehens. Ein pauschaler Ansatz wird das Beste in Europa nicht erfassen.
Fazit
Die Argumente für eine Anlage in europäischen Aktien sind so stark wie seit Jahren nicht mehr. Um erfolgreich zu sein, reicht es allerdings nicht aus, nur die Gelegenheit zu erkennen. Obwohl der Bewertungsabschlag in Europa und das Potenzial für fiskalische Anreize und geldpolitische Lockerungen ein günstiges Umfeld schaffen, werden nicht alle davon profitieren. Der Schlüssel liegt in der Konzentration auf qualitativ hochwertige Unternehmen mit starker Preisgestaltungsmacht, robusten Geschäftsmodellen und der Fähigkeit, von Trends in Europa und weltweit zu profitieren. Eine aktive Aktienauswahl ist der beste Weg, um dieses Potenzial zu nutzen.