
Welche Folgen werden politische Ungewissheit und makroökonomischer Gegenwind für Opportunitäten auf dem Anleihenmarkt haben?
Infolge der politischen Veränderungen und der Entwicklung der globalen makroökonomischen Bedingungen gibt der Anleihenmarkt kurz vor der Jahresmitte 2025 ein komplexes Bild ab. Gene Tannuzzo, Global Head of Fixed Income, teilt seine Sichtweisen zur aktuellen Verfassung des Anleihenmarkts und liefert Einblicke in Schlüsselthemen, die Anleihen voraussichtlich bis zum Jahresende beeinflussen werden. Dabei legt er den Schwerpunkt auf Opportunitäten in selektiven hochverzinslichen sowie forderungsbesicherten und hypothekarisch besicherten Wertpapieren öffentlicher Emittenten.
Politische Ungewissheit bestimmt die Märkte
Politische Entscheidungen – insbesondere solche, die Handel und Zölle betrafen – waren bisher der wichtigste Markttreiber in diesem Jahr, und dies dürfte auch im zweiten Halbjahr 2025 so bleiben. Die aktuelle Regierung hat in ihren ersten 100 Tagen eine nie dagewesene Zahl von Durchführungsverordnungen verabschiedet. Für Unternehmen bedeutet dies ein Umfeld erhöhter Unsicherheit. Folglich hält man sich mit Prognosen zurück, und viele Unternehmen formulieren eher Szenarien als konkrete Erwartungen.
Die Entscheidungsträger in den Unternehmen zögern größere Investitionsentscheidungen so lange hinaus, bis mehr Klarheit über die „Spielregeln“ besteht – insbesondere, was Zölle anbelangt. Die volatile Handelspolitik, die davon geprägt ist, dass sich die für einzelne Länder oder Regionen geltenden Zölle schnell ändern können, hat langfristige Investitionsentscheidungen für Unternehmen schwierig gemacht.
Alles blickt auf den Arbeitsmarkt
Der Arbeitsmarkt stellt für Anleiheanleger eine entscheidende Größe dar, die sie in den kommenden Monaten nicht aus den Augen verlieren sollten. Gegenwärtig wird erwartet, dass die US-Notenbank (Fed) keine weiteren Anpassungen vornehmen wird, solange der Arbeitsmarkt nicht eindeutige Anzeichen einer Verschlechterung zeigt. Die Arbeitslosenquote lag zwar konstant bei 4,2%, ein spürbarer Anstieg in Richtung 4,5% könnte die Fed jedoch zu Maßnahmen veranlassen. Auch die Wachstumsrate der Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft im Vergleich zum Vorjahr (aktuell: 1,19%) verdient erhöhte Aufmerksamkeit, denn aus historischer Sicht fielen Rückgänge unter die aktuellen Niveaus mit Konjunkturverlangsamungen zusammen (Abbildung 1).
Abbildung 1: Weiterhin rückläufiges Stellenwachstum
Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft (durchschnittliche monatliche Veränderung)
Quelle: Bureau of Labor Statistics, Stand: 31. Mai 2025.
Wie wird die Fed auf unterschiedliche Signale bezüglich Inflation und Arbeitsmarkt reagieren? Unserer Einschätzung nach wird die Fed über einen durch die Zölle ausgelösten Inflationsanstieg hinwegblicken und könnte bereitwillig die Zinsen senken, falls sich die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtert. Für diese Sichtweise sprechen die jüngsten Aussagen von Fed-Direktor Christopher Waller, der andeutete, dass die Fed die Zölle als Steuern betrachtet, auf die sie keinen Einfluss hat, und gleichzeitig weiterhin ihrem Auftrag nachkommt, den Arbeitsmarkt im Fall einer Schwäche zu unterstützen. Ein Faktor, der in den derzeitigen Markterwartungen womöglich unterschätzt wird, ist der potenzielle Umfang der Zinssenkungen im Jahr 2026 – also ein mögliches Abwarten der Fed, um später umso stärker zu reagieren.
Attraktive Unternehmensanleihen dank Spreadausweitung
In der zweiten Jahreshälfte werden sich unseres Erachtens Gelegenheiten in Unternehmensanleihen ergeben, da die Spreads sich gegenüber ihren historisch niedrigen Niveaus ausgeweitet haben (Abbildung 2). Die Spreads von kurzfristigen Anleihen, die auf Rekordtiefstände gefallen waren, haben wieder ihren historischen Durchschnitt erreicht. Auch die Spreads von Investment-Grade-Unternehmensanleihen haben sich ausgeweitet, betragen nun aber nur etwas mehr als ihren langfristigen Durchschnitt. Unterdessen sind Investment-Grade-Anleihen mit längerer Laufzeit aus technischen Gründen (anhaltende Nachfrage von institutionellen Anlegern bei begrenztem Angebot) weiterhin teuer. Die größte Spreadveränderung gab es am Markt für hochverzinsliche Unternehmensanleihen, der sowohl auf das Wirtschaftswachstum als auch auf die Risikobereitschaft sensibler reagiert. Speziell höherwertige Hochzinsanleihen (Ratingsegmente BB und B) scheinen attraktive Gelegenheiten darzustellen. Gleichzeitig gehen wir bei geringerwertigen Unternehmensanleihen (Hochzinsanleihen mit CCC-Rating) selektiv vor, da sie besonders anfällig gegenüber einem wirtschaftlichen Abschwung sind.
Abbildung 2: Höhere Kreditspreads schaffen Gelegenheiten für Anleiheanleger
Aktuelles Perzentil ggü. 20-jährigem Durchschnitt
Quelle: Columbia Threadneedle Investments, Stand: 30. April 2025
Diese Spreadausweitung lässt erkennen, dass es sich für Anleiheanleger lohnt, höhere Risiken (über US-Treasuries hinaus) einzugehen. Angesichts ihres aktuellen Stands im Vergleich zur Historie liefern die Spreads zudem auch einen Anhaltspunkt dafür, wo es in den nächsten zwölf Monaten Überschussrenditen geben könnte. Im Segment der höherwertigen Hochzinsanleihen (BB-Rating) beispielsweise setzten wir Kapital ein, um die Neubewertung auszunutzen. Insgesamt konnten wir das Spektrum der Anlagegelegenheiten so von einer sehr defensiven Positionierung – mit Schwerpunkt auf Investment-Grade-Unternehmensanleihen – auf Verbraucherkredite wie beispielsweise forderungsbesicherte und hypothekarisch besicherte Wertpapiere öffentlicher Emittenten (MBS und Agency-MBS) ausweiten.
Es gab weltweit an den Kreditmärkten keine besonderen Relative-Value-Chancen (US- ggü. Nicht-US-Anleihen). Europäische Unternehmensanleihen, die vor ein paar Jahren noch günstiger erschienen, haben sich überwiegend den Bewertungen von US-Papieren angenähert. In den Schwellenländern haben sich die Spreads im Zuge der jüngsten Marktvolatilität nur geringfügig ausgeweitet. Wir achten jedoch genau darauf, ob die wachstumsfreundlichen Politiken in Ländern wie Deutschland, China und Japan dazu beitragen werden, die negativen Auswirkungen der US-Zollpolitik auf ihre Volkswirtschaften auszugleichen.
Risikobewertung durch Anlageszenarien
Künftig erwarten wir drei Hauptszenarien, die die Märkte für festverzinsliche Wertpapiere bis zum Jahresende bestimmen könnten:
- Lösung: Eine Rückkehr zu globalen Handelsbedingungen, wie sie vor Januar bestanden, könnte Unternehmensanleihen zugutekommen. Zugleich würden jedoch Staatsanleihen womöglich unter Druck geraten, da die Zinssätze steigen könnten, wenn die Fed ihre Geldpolitik beibehält oder sogar strafft.
- Anhaltende Ungewissheit: Sollte sich die Aushandlung von Handelsabkommen mit mehreren Ländern in die Länge ziehen, könnte das Umfeld für festverzinsliche Wertpapiere allgemein günstiger werden. Bei der Kreditauswahl wird es darauf ankommen, Gewinner und Verlierer zu identifizieren.
- Rezessionsszenario: Eine Konjunkturabschwächung würde die Fed wahrscheinlich zu deutlichen Zinssenkungen veranlassen. Davon würden bestimmte Segmente profitieren, während die Kreditmärkte Problemen ausgesetzt wären.
Investmentauswirkungen
Das Szenario einer länger andauernden Ungewissheit, das am wahrscheinlichsten erscheint, könnte am günstigsten für die Performance von festverzinslichen Wertpapieren sein. In diesem Umfeld könnte eine Kombination aus hochwertigen US-Anleihen mit mittlerer Laufzeit, die durch hochwertige Staatsanleihen aus dem Rest der Welt (z. B. deutsche Bundesanleihen) ergänzt wird, zu einer besseren Diversifizierung von Portfolios beitragen. Unsere größte Gewichtung (bzw. Übergewichtung) sind weiterhin Agency-MBS, die von US-Regierungsbehörden garantiert werden. Ausschlaggebend ist hierbei die Bewertung, denn Agency-MBS bieten zurzeit einen höheren Spread als Investment-Grade-Unternehmensanleihen und dienen darüber hinaus auch zur Minderung des Risikos in Portfolios. Auslöser für eine Outperformance in diesem Bereich werden aus unserer Sicht niedrigere Treasury-Renditen und Zinsvolatilität sein.
Fazit
Für Anleger am Anleihenmarkt war der wichtigste Renditetreiber in der ersten Jahreshälfte die politische Ungewissheit bzw. der Versuch, die politische Entwicklung vorherzusagen. Im zweiten Halbjahr 2025 wird die Bewertung der konkreten Auswirkungen dieser politischen Entwicklung in den Mittelpunkt rücken.
Angesichts des sich wandelnden wirtschaftlichen Umfelds ist ein aktiver Ansatz am besten geeignet, um vor dem Hintergrund eskalierender Handelsspannungen potenzielle Gewinner und Verlierer zu erkennen. Manche Branchen und sogar einzelne Unternehmen werden wahrscheinlich unmittelbarer von den Abgaben auf Importwaren betroffen sein. Für andere könnten Opportunitäten entstehen, stärker betroffenen Konkurrenten Marktanteile abzunehmen. Um die Portfolios so zu positionieren, dass Chancen erkannt und potenzielle Risiken gesteuert werden, ist ein Research-basierter Ansatz erforderlich.